Diskussion zum NT 2015/16
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Danke für die Klärung.
Hier eine neue Anmerkung zu AB5, wo es heißt:
“Es ist auffallend, dass im NT kein einziger Verantwortlicher der ersten Christenheit als
„Hirte” bezeichnet wird; von den 13 „theologischen“ Vorkommen des Wortes „Hirte“ im NT beziehen
sich 12 auf Gott oder Jesus – ganz im Sinne von Hes 34 und Joh 10,16. – Zu der Ausnahme Eph 4,11″
Soll das heißen, dass wir unsere Gemeindepastoren nicht “Hirten” nennen sollten?
Ich denke, es ist zulässig; denn der Begriff “weiden” (G4165 ποιμαίνω) wird im NT auch auf menschliche Verantwortliche der Gemeinde bezogen:
Jhn 21:16
He saith to him again the second time, Simon, son of Jonas, lovest thou me? He saith unto him, Yea, Lord; thou knowest that I love thee. He saith unto him, Feed G4165 my sheep.
Act 20:28
Take heed therefore unto yourselves, and to all the flock, over the which the Holy Ghost hath made you overseers, to feed G4165 the church of God, which he hath purchased with his own blood.
1Pe 5:2
Feed G4165 the flock of God which is among you, taking the oversight thereof, not by constraint, but willingly; not for filthy lucre, but of a ready mind;
Das Wort wird auch auf Gott/Jesus bezogen:
Rev 2:27
And he shall rule G4165 them with a rod of iron; as the vessels of a potter shall they be broken to shivers: even as I received of my Father.
Rev 7:17
For the Lamb which is in the midst of the throne shall feed G4165 them, and shall lead them unto living fountains of waters: and God shall wipe away all tears from their eyes.
(siehe https://www.blueletterbible.org/lang/lexicon/lexicon.cfm?Strongs=G4165&t=KJV )
Man muss unterscheiden zwischen dem, wie die Christen zur Zeit des NT ihre (nichtvorhandenen!) „Ämter“ gehandhabt haben, und wie das im Laufe der Kirchengeschichte geschehen ist.
1) In den verschiedenen Kirchen haben sich unterschiedlichste „Amtsbezeichnungen“ entwickelt sowie auch ursprünglich informelle (Ehren-)Titel, wie „Hirte“, „Abba“ (Vater/Abt) usw.. Sie alle gehen von einer Grundlage aus: Der Amtsträger („Kleriker“: Bischof, Priester, Pfarrer, Pastor, …) steht den Laien gegenüber. Es gibt also eine Rangordnung in der der Gemeinde. Wenn man diese Sichtweise bejaht, dann kann man nahezu beliebige Titel verwenden. Die Christen zur Zeit des NT sind damit viel differenzierter umgegangen, wie ich in dem Vortrag „Gemeinde und Leitung“ zu zeigen versuche. Sie sprechen grundsätzlich von „Diensten“. Diese sind als Tätigkeiten verstanden, nicht als „Ämter“, heben also die Betreffenden nicht aus der „Gemeinde Gottes“ heraus. Die Differenzierung bleibt auf funktionaler Ebene, und wird nicht auf die Status-Ebene hin überhöht.
2) Der Begriff „Hirte“ ist aber darüber hinaus noch problematisch: Die gesamte alttestamentliche Tradition sieht darin ein Herrscheramt; auch die altorientalischen Könige wurden mit diesem Bild bezeichnet. Und der altorientalische König war tatsächlich mehr als ein normaler Mensch; er war den Göttern näher oder sogar selbst eine Art Gott. Und das Bild von der (Schaf-)Herde und dem Hirten bringt ja genau das zum Ausdruck: Nur der Hirte ist Mensch, die Schafe sind Tiere – beide stehen eben gerade nicht auf einer gemeinsamen Ebene! Wenn man den Gedanken weiterführt, landet man genau dort, wo die altorientalische Königsideologie auch gelandet ist: Die Schafe sind für den Hirten da, er kann sie nicht nur scheren, sondern auch schlachten … Auch im Israel des AT wurden die Könige und hohen Beamte als „Hirten“ bezeichnet. Aber ihre „Hirtenschaft“ war durchgehend korrupt. Deshalb gibt es die großen „Hirtenkapitel“ bei den Propheten, in denen Gott sie hart verurteilt und ankündigt, sie – alle! – abzuschaffen. Das ausführlichste dieser Kapitel ist Hesekiel 34. Es lohnt sich, das aufmerksam zu lesen. Dort wird verheißen, dass Gott selbst jetzt sein Volk weiden wird. Das wird er, so der Text, durch Einen (einzigen!, hebr. „ächád“) Hirten, den neuen David tun, seinen Knecht. –
3) Genau hier setzt Jesus an, wenn er in Joh 10 davon spricht, der „Gute Hirte“ zu sein (man beachte seine Abgrenzung von allen [!] anderen, die für ihn Mietlinge sind!). Dieser Sprachgebrauch Jesu im Anschluss an das AT – also die endzeitlich-messianische Füllung des Begriffs Hirte – dürfte der Grund für die ersten Christen gewesen sein, von ihren Verantwortlichen nicht als Hirten zu sprechen. Diese Verantwortliche sollen „handeln wie ein Hirte“ (poimainein) – vor allem als Schützer der Herde gegenüber den einbrechenden Wölfen (Irrlehrern). Inhaltlich gefüllt wird das dann angesichts dieser akuten Bedrohung mit dem Auftrag, das Evangelium richtig zu lehren. Vgl. die Abschiedsrede des Paulus an die Ältesten in Apg 20. Der Charakter des „Herrschens“ ist darin eben gerade nicht enthalten – „… denn einer ist euer Meister, der Messias“ (Zitat Jesu). Noch in den neunziger Jahren des 1. Jahrhunderts ist der Titel „Hirte“ in Rom reserviert – für einen himmlischen Engel, der dem örtlichen Propheten namens Hermas eine Reihe von Visionen zeigt!
4) Nun zum heutigen Sprachgebrauch. Der urchristliche Ansatz ist bald in Vergessenheit geraten, da die Gemeindeleiter zunehmend mehr Macht und Einfluss bekamen. Es entwickelte sich das geistliche „Amt“, das der Gemeinde gegenüberstand und vom AT zusätzlich mit priesterlichen Kategorien aufgeladen wurde. Die Reformation hat in der Praxis nur den Priester-Charakter wieder gestrichen, nicht aber den Charakter des Amts. Und Freikirchen haben das zwar manchmal – meist im Rahmen eines Ältestenmodells – abgeschwächt, aber oft auch nicht grundsätzlich geändert. Und in den neueren charismatischen Gemeinden wird manchmal die Alleinstellung des Leiters neu begründet, jetzt von seiner charismatischen Vollmacht her, als eines „Gesalbten Gottes“ – übrigens ebenfalls ein rein messianischer Titel – „Christus“ = „Messias“ = „der Gesalbte“. Das heißt nach dem Sprachgebrauch des AT/der Bibel dann: Der Gemeindeleiter ist „König“! (Im Gegenzug wird der „Pastor“ dann häufig auf „Pastorales“, nämlich „Seelsorgerliches“ reduziert.)
In der Praxis habe ich häufig erlebt, dass Gemeindemitglieder aufgetreten sind mit der Aussage „Ich bin ja nur ein Schaf, aber …“ und dem „Pastor“/„Hirten“ dabei ein Mehr an geistlichem Status zumessen – und zwar wegen seine Titels! Was ist das für eine Aussage? Umgekehrt bedeutet sie nämlich auch: „Du, Pastor, bist für mich zuständig, für mein Futter, mein Wasser, mein geistliches Leben, meinen Sinn im Leben, mein Glück …“ – Der „Pastor“ (= lateinisch für „Hirte“) rückt in die Rolle eines Ersatz-Christus! Das bedient unsere Sehnsüchte nach einer Schulter zum Anlehnen, einem „starken Mann“ oder Ähnlichem. Damit bleibt aber der „Laie“ / das „Gemeindeglied“ freiwillig unreif – er hat ja ein Recht darauf, vom „Hirten“ versorgt zu werden! Denn seine Identität ist es, „Schaf“ zu sein!
5) Von daher halte ich den „Hirten“-Begriff für recht unglücklich – denn von seinem Bildgehalt her suggeriert er das alles ja. Man kann ihn natürlich aus historischen Gründen verwenden – aber nur, wenn man zugleich allen aktiv das Bewusstsein vermittelt, „gleich-rangig“ – nämlich als Geschwister vor Gott, als „Heilige Gottes“ – dazustehen, und gemeinsam dem Einen Hirten zu folgen, der diesen Titel zu Recht trägt. Und das muss auch in der Praxis gelebt werden; die Theorie ist schön und wird auch öfters vertreten; in der Praxis wird allerdings häufig was anderes gelebt.
Zu Antworten_AB4_Apostelgeschichte:
Die Aussage in 1.2, dass die„hebräische“ Gemeinde in Jerusalem bleiben konnte, passt m.E. nicht dazu, dass einige der Geflohenen nur zu den Juden sprachen (Apg.11,19):
1.2 ISRAELS WIEDERHERSTELLUNG UND DIE EINBEZIEHUNG DER HEIDEN
“Im Anschluss an den Märtyrertod des Stephanus erlebte der „hellenistische“ Teil der Gemeinde eine Verfolgung und musste Jerusalem verlassen, während die Zwölf – und mit ihnen vermutlich die „hebräische“ Gemeinde – in Jerusalem bleiben konnten.”
Apg.11,19 “Die aber zerstreut waren wegen der Verfolgung, die sich wegen Stephanus erhob, gingen bis nach Phönizien und Zypern und Antiochia und verkündigten das Wort niemandem als allein den Juden.”
Das ist ein Testkommentar von Manfred.
Sowohl die „Hellenisten“ wie die „Hebräer“ sind „Juden“ – die einen die (hauptsächlich) griechischsprachigen, die aus der internationalen jüdischen Diaspora stammen und nach Jerusalem gezogen sind (zu denen predigt Stephanus in Apg 7 und Paulus in 9,29), die andern die „einheimischen“, deren Umgangssprache das Aramäische/Hebräische ist. Aus beiden Gruppen haben sich Menschen zum Messias Jesus bekehrt; das sind dann griechischsprachige messianische Juden einerseits („Hellenisten“) und aramäischsprachige andererseits („Hebräer“). Zu vermuten ist, dass der Siebenerkreis (Apg 6) nicht nur soziale Aufgaben wahrgenommen hat, sondern zugleich eine Art Verantwortlichenkreis oder zumindest „Predigerkreis“ für den hellenistisch-jüdischen Teil der Gemeinde war (vgl. Stepanus Apg 7 und Philippus Apg 8, die beide als Prediger und Missionare unterwegs sind). Deshalb müssen sie auch „voll des heiligen Geists“ sein …
Die Juden in „Phönizien, Zypern und Antiochia … und der Kyrenaika (Libyen/Tunesien)“ (Apg 11,19) dürften griechischsprachig gewesen sein, manche, vor allem in Syrien und Phönizien, auch zweisprachig (vgl. etwa den Zyprer Barnabas Apg 4,36; 11,22).
Vermutlich waren auch eine Reihe von „Hellenisten“ zweisprachig, aber sie hielten sich aus kulturellen und landsmannschaftlichen Gründen zu den griechischsprachigen Synagogen bzw. dem entsprechenden Teil der Gemeinde in Jerusalem.